Epochiale Tunnel - Übersicht

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Der Tunnelbau im vorletzten Jahrhundert wurde weltweit durch die rasante Verbreitung der Eisenbahn vorangetrieben. Nachdem 1825 die erste offizielle Eisenbahnlinie mit Lokomotivbetrieb in England eröffnet wurde, breitete sich das Transportsystem weltweit innerhalb weniger Jahrzehnte flächendeckend aus. Zunächst wurden Städte in der Fläche verbunden und Tunnelbauten wurden nach Möglichkeit vermieden, da sie trotz bescheidener Längen einen immensen Aufwand benötigten. Im Laufe der Zeit stieß man dann aber buchstäblich an steinerne Grenzen, wie bei der zweiten Transkontinentalen Eisenbahn  in den USA oder den Alpen zur Verbindung von Süd- und Mitteleuropa. Bald reichten die althergebrachten Verfahren des Tunnelbaus nicht mehr aus und ehrgeizige Eisenbahnprojekte waren stark gefährdet. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es jedoch zu bedeutenden technischen Entwicklungen, die immer größere Tunnellängen und kürzere Bauzeiten ermöglichten. Die Entwicklung fand am Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Bau der Simplontunnel einen vorläufigen Höhepunkt.

Tunnellängen und Bauzeiten im historischen Kontext des 19. Jahrhunderts
(grau: Quanat-Bauweise, gelb: Mechanische Bohrung, blau: Unterwassertunnel)

In dieser Abbildung lassen sich drei Phasen erkennen, die die technologische Entwicklung wiederspiegeln:

 

Phase 1


bis 1855


Kurze Tunnel in Quanat-Bauweise

 

Die vorherrschende Bauweise war die gleiche, wie sie seit Jahrtausenden angewandt wurde: Der Vortrieb erfolgt durch rein manuelle Bohrung mittels Muskelkraft (Bohrer bzw. Meißel), in der späteren Zeit wurde dann zusätzlich das schwach wirkende Schwarzpulver als Sprengstoff verwendet. Der Arbeitsfortschritt war entsprechend langsam und lag in der Regel unter einem Meter pro Tag. Zur Beschleunigung des Vortriebs bediente man sich eines Tricks: Bei der sogenannten Quanat-Bauweise wurde nicht nur von den Tunnelportalen aus gegraben, sondern man grub zusätzlich mehrere Schächte entlang der Tunnelachse von der Oberfläche bis zur zukünftigen Tunnelsohle. Dann konnte man den Tunnelvortrieb gleichzeitig von mehreren Angriffsorten durchführen. Dies war natürlich nur möglich, wenn die Gebirgsüberdeckung nicht zu hoch war (bis zu einigen Hundert Metern). Trotzdem konnten mit diesen Mitteln nur Tunnel bis zu ca. drei Kilometern Länge effizient gegraben werden.

Entsprechend wurde der Box-Tunnel als erster längerer Eisenbahntunnel in England auf diese Weise gebaut. Als die Eisenbahn die Alpen und deren Ausläufer erreichte, entstanden die ersten kürzeren Alpentunnel: Der Giovi-Scheiteltunnel der Linie Genua-Turin, der Semmering-Scheiteltunnel als Teil der Semmeringbahn (erste Eisenbahn-Alpentransversale) und der alte Hauenstein-Scheiteltunnel in der Schweiz.

Der Tunnel zur Unterquerung der Themse in London (ca. 300m) war das erste Projekt zur Anlage eines Unterwassertunnels. Zunächst war er als Fußgängertunnel geplant und wurde erst lange Zeit nach seiner Fertigstellung zu einem Eisenbahntunnel umfunktioniert. Die lange Bauzeit mit längeren Unterbrechungen nach Unglücken zeigt, dass die Technik noch nicht ausgereift war und die Fertigstellung nur mit allergrößten Schwierigkeiten erreicht wurde. Hierbei wurde ein Schildvortriebsverfahren verwendet, das auch heutzutage noch in weiterentwickelter Form für brüchige und sandige Gesteinsarten verwendet wird.

In dieser Epoche wurde auch die erste Transkontinentale Eisenbahn in Amerika erbaut. Ausgelöst durch den Goldrausch in Kalifornien, gab es einen immensen Bedarf, Menschen und Material von der Ost- zur Westküste der USA zu befördern. Da der Überlandweg per Wagentreck monatelang dauerte und mit unzähligen Gefahren verbunden war, erschuf man eine schnellere Alternative: Zunächst ging es per Schiff von der Ostküste nach Mittelamerika zur Landenge von Panama. Dort wurde eine Eisenbahn quer über den Isthmus gebaut, die man für die Weiterfahrt zum Pazifik benutzte. Schließlich ging es dann wieder per Schiff zur Westküste der USA. Insgesamt ein großer Umweg, jedoch tatsächlich schneller und sicherer als die direkte Durchquerung der USA auf dem Landweg.

Gegen Ende dieser Phase zeigten sich die Grenzen des Bauverfahrens: Der Hoosac-Tunnel in den USA sollte zur Verbesserung der Anbindung von Städten der Ostküste ca. acht Kilometer lang werden. Obwohl die Topografie günstig war und die Anlage von zwei Schächten möglich war, war der Arbeitsfortschritt einfach zu langsam und nach massiven Kostenüberschreitungen wurde das Vorhaben vorübergehend aufgegeben.

 

Phase 2


1855-1890


Erste lange Alpentunnel mit mechanischer Bohrung

Diese Epoche ist durch grundlegende technologische Quantensprünge in Bezug auf Bauverfahren allgemein ausgezeichnet. Es wurden große Bauvorhaben möglich und dann auch realisiert, von denen man bis dahin nur träumen konnte. Beispielsweise wurden in dieser Zeit der Suezkanal gebaut und die zweite Transkontinentale Eisenbahn in Amerika, diesmal auf dem direkten Landweg quer durch die USA.

In Europa war die Eisenbahn jetzt endgültig in den Alpen angekommen und nach der östlichen Transversale über den Semmering wurde eine westliche immer notwendiger. Sie war so notwendig, dass man für den Frejus-Tunnel sogar eine Bauzeit von 25 Jahren als akzeptabel erachtete (er wäre damit in den gleichen Jahren fertiggestellt worden wie der später begonnene Gotthardtunnel). Der Frejus-Tunnel sollte der erste lange Alpentunnel werden mit fast 14 Kilometern Länge, ohne dass man die Quanat-Bauweise verwenden konnte. Man musste sich also auf zwei Angriffsorte beschränken.

Ein wichtiger Grund für die Anlage des Tunnels war der Transport der "Indian Mail" von Großbritannien nach Indien. Was sich zunächst wie ein Witz anhört, ist tatsächlich so: Das Mutterland war auf eine schnelle und effiziente Kommunikation mit seiner Kolonie Indien angewiesen und der Weg über das Mont-Cenis-Massiv wurde als der kürzeste erachtet (unter Einbeziehung des zeitgleich entstehenden Suez-Kanals). Die Fertigstellung des Suez-Kanals war absehbar, die des Frejus-Tunnels ließ aber noch auf sich warten. So entschloss man sich kurzerhand zum Bau einer Schmalspurbahn über den Mont-Cenis-Pass, die in nur drei Jahren ab 1866 gebaut wurde und nach dem Fell'schen Prinzip arbeitete (Verstärkung der Reibung durch zusätzliche Räder auf einer dritten Schiene). Jedoch waren die Fortschritte im Bau des Tunnels so beträchtlich, dass der Frejus-Tunnel drei Jahre nach der Inbetriebnahme der Schmalspurbahn fertiggestellt wurde und natürlich der Postverkehr dann sofort durch den Tunnel geleitet wurde. Im Nachhinein war das für die Betreiber der Schmalspurbahn natürlich eine betriebswirtschaftliche Katastrophe.

Aber wie war dieser Fortschritt möglich? Neben dem allgemeinen technologischen Fortschritt, wie dem effizienten Einsatz der Dampfkraft zur weitgehenden Automatisierung, war die Einführung der mechanischen Bohrung der entscheidende Durchbruch beim Frejus-Tunnel. Durch die Kombination neuester Entwicklungen auf den Gebieten Druckluft und Maschinenbohrung wurde die pneumatische Bohrmaschine für die Bohrung der Sprenglöcher in der Tunnelbrust einsetzbar. Obwohl als Sprengmittel nach wie vor Schwarzpulver verwendet wurde, konnte die Vortriebsleistung auf mehrere Meter pro Tage gesteigert werden. Ein nützlicher Nebeneffekt dabei war die Belüftung des Tunnels mit Frischluft, was zuvor ebenfalls ein großes Problem darstellte.

Diese Vorgehensweise war so eindrucksvoll und effizient, dass sie dann auch für den Hoosac-Tunnel übernommen worden ist und dieser dann letztendlich doch noch fertiggestellt werden konnte.

Krönendes Bauwerk dieser Epoche war dann der über 15 Kilometer lange Gotthardtunnel in den Schweizer Alpen als wichtigster Bestandteil der Gotthardbahn. Neben einer Verbesserung der pneumatischen Bohrmaschinen wurde hierbei erstmals Dynamit in großem Stil eingesetzt, was den Arbeitsfortschritt abermals steigerte.

Vor der Fertigstellung dieser beiden Alpentunnel wurde auch noch die Brennerbahn als zweite Alpentransversale gebaut. Diese kommt jedoch aufgrund der günstigen Topologie ohne größere Tunnelbauten aus.

Der Arlbergtunnel ist keine Alpentransversale im hier verstandenen Sinne, da er nicht den Alpenhauptkamm durchschneidet, sondern in ost-westlicher Richtung verläuft und Österreich mit der Schweiz verbindet. Die Bauzeit war jedoch bemerkenswert kurz.

Der Severntunnel in Großbritannien ist ein weiterer Unterwassertunnel, der in einem Schild-Vortriebsverfahren gebaut wurde. Trotz größter Widrigkeiten wie Einstürze und Wassereinbrüchen, wurde er in relativ kurzer Zeit fertiggestellt. Für Reparaturen der überfluteten Stollen wurden erstmals sogenannte Rebreather (Vorläufer der heutigen SCUBA-Tauchapparate) eingesetzt.

Angespornt durch den Erfolg des Suez-Kanals wurde der Panama-Kanal in Angriff genommen. Jedoch war die Technologie noch nicht so weit und organisatorische und finanzielle Misswirtschaften bereiteten dem Unternehmen ein vorübergehendes Ende.

 

Phase 3


ab 1890


Erweiterung der Streckennetze

Die großen Alpentransversalen (Semmering, Brenner, Frejus, Gotthard) waren fertiggestellt und deckten die gesamte Alpenkette von Ost nach West ab. Italien war endlich mit dem Rest von Europa verbunden!

In dieser letzten Phase wurden die Streckennetze durch weitere Tunnelanlagen erweitert und effizienter gemacht. Man könnte fast etwas augenzwinkernd sagen, dass es sich dabei um "Luxusprojekte" handelt.

Zum einen wurden zusätzliche Linien geschaffen, um Umwege zu vermeiden und Ausweichmöglichkeiten zu haben: Westlich der Gotthardbahn wurde in der Schweiz durch die Linie Lötschberg - Simplon eine zweite Alpentransversale in der Schweiz geschaffen, die neue Rekorde im Tunnelbau aufstellte: Der Simplontunnel war für viele Jahrzehnte der längste Tunnel der Welt, der Lötschbergtunnel war der erste Tunnel mit Kurven, was neue Herausforderungen an die Vermessungstechnik stellte. Die Tauernbahn mit dem Scheiteltunnel fällt ebenfalls in diese Kategorie: Sie ist die dritte Alpentransversale in Österreich.

Zum anderen wurden bestehende Linien beschleunigt, wie sich am Beispiel des Hauenstein-Tunnels zeigt: Um zum Scheiteltunnel zu gelangen, muss die Bahn zunächst über eine steile Rampe auf das Niveau des Tunnels gebracht werden und anschließend wieder hinunter ins Tal. Das benötigt Zeit. Daher gräbt man den Tunnel einfach tiefer und enthält einen Basistunnel, der keine Zufahrtsrampen benötigt. Die Bahn kann so direkt von Tal zu Tal geführt werden.

Dieser Trend hält bis heute an, wo in der Schweiz im Rahmen der NEAT (Neue Eisenbahn Alpen Transversalen) der Gotthard- und der Lötschbergtunnel durch entsprechende Basistunnel ersetzt bzw. ergänzt werden und dadurch in weitere Rekorde und Phasen des Tunnelbaus vorgestoßen wird.

Letztendlich konnte in dieser Zeit in einem zweiten Anlauf auch der Panamakanal fertiggestellt werden. Auch dieser soll jetzt den gestiegenen Bedürfnissen angepasst werden. Kanäle sind also genauso wie Tunnel extrem lang genutzte Bauwerke, auch wenn sie im Laufe der Zeit Verbesserungen und Modifikationen unterliegen.

 

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