Gotthard-Tunnel

Vermessung Übersicht


 

 

Zwei unabhängige Vermessungen.

Ausführliche Übersicht
von Gelpke in [506]

Detaillierte Hintergründe
in [514]

Vergleich mit dem
Basistunnel in [513]

 

Die doppelte Vermessung wurde durchgeführt, um absolute Sicherheit über das Zusammentreffen der beiden Richtstollen zu erhalten, da bislang noch kein Tunnel dieser Länge ohne direkte Absteckung gebaut worden war.

 

Zusätzlich wurde nach der ersten Vermessung durch Gelpke das südliche Tunnelportal bei Airolo verschoben, sodass die ursprüngliche Vermessung nur indirekt die Bestimmung der Tunnelachse zuliess.


Triangulation durch Otto Gelpke 1869 - 1871

 

Otto Gelpke
Quelle: [514]

 

1840 - 1895

Ingenieur beim eidgenössischen Stabsbureau wurde bereits mit 29 Jahren mit dieser Aufgabe betreut.

Mehr über Gelpke in [514]

Netzanlage und Winkelmessung
Quelle: [511]

Das Netzt besteht aus möglichst gleichseitigen Dreiecken und umfasst die beiden Achssignale Göschenen und Airolo, deren Anschlußsignale und die hochgelegenen Triangulationspunkte auf den umliegenden Gipfeln

Eine genaue Winkelmessung wurde durch eine hohe Anzahl von Repetitionen (meistens 24, siehe Theodolit) ermöglicht.

Die Signale Flengeren und Wannelen dienten zum Anschluss der Basisstrecke an das Netz.

 

Basismessung
Quelle: [512]

Zur Bestimmung der Tunnellänge wurde 1869 eine provisorische Basismessung mittels Metallband durchgeführt, die eine Basislänge von 1430,168 m ergab. 1872 ergab eine Nachmessung mittels geeichter Holzlatten eine Länge von 1430,44 m (alle Längenangaben sind aus das Niveau von Göschenen bezogen).

Nach Fertigstellung des Tunnels zeigte sich, dass dessen Länge um 7,1 m zu groß bestimmt war. Nachmessungen im 20. Jhd. ergaben eine Basislänge von 1430,17 m, was die Differenz zum Teil erklärt. Den Längenmessungen ist daher ein großer systematischer Fehler zuzuordnen, wahrscheinlich wegen der besonderen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen.

 

Berechung der Achsrichtung
Quelle: [511]

Die Achsrichtung wurde sehr pragmatisch bestimmt. Gelpke berücksichtigte weder Lotabweichungen, die sphärische Gestalt der Erde, noch glich er das Netz vollständig aus. In den Dreiecken musste die Winkelsumme 180 Grad ergeben und die Korrekturen wurden gleichmäßig auf alle Winkel verteilt. Dies musste auch für alle angrenzenden Dreiecke erfolgen, sodass Sudoku-Liebhaber sicherlich ihre Freude daran gehabt hätten.

Die meisten Dreiecksschlüsse hatten nur geringe Fehler, jedoch zeigten sich besonders bei den steilen Visuren der Anschlusssignale zu den Achspunkten größere Abweichungen, sodass diese Vorgehensweise heutzutage etwas gewagt erscheint.

Koppe holte die Ausgleichung nach und gelangte zu einem mittleren Richtungsfehler von +/- 2,7 Sekunden.

 

Nivellement
Quelle: [511]

Gleichzeitig mit den Winkelmessungen wurden die Vertikalwinkel der umliegenden Signale gemessen, um eine trigonometrische Höhenbestimmung vornehmen zu können.

Gleichzeitig wurden Arbeiten eines Landes-Nivellements für das Gebiet vorgezogen, um eine Vergleichsbasis zu haben.

Es zeigte sich eine gute Übereinstimmung beider Messverfahren und es konnten wertvolle Rückschlüsse auf die wirksamen Refraktionskoeffizienten gezogen werden.

 

Oberirdische Absteckung
Quelle: [506]

Die Topologie des Gotthard-Massivs lässt eine oberirdische Absteckung kaum möglich erscheinen. So wird in den offiziellen Publikationen nur davon gesprochen, dass Gelpke die Absteckung nur von Göschenen bis Andermatt durchführen konnte (dort sollte unter Umständen ein zusätzlicher Schacht angelegt werden. In  [506] weist Gelpke jedoch darauf hin, dass ihm trotzdem eine Absteckung gelungen sein, die eine Differenz der Tunnelachsen von ca. 19 cm erbrachte.

 

Originalliteratur zum Downloaden Bestimmung der Achsrichtung [511]
Basismessung [512]
Richtungsverifikation und Durchschlag [506]

 

Triangulation durch Carl Koppe 1874 - 1875

 

Carl Koppe


Quelle: [906]

 

1844 - 1910

Wurde als 25-Jähriger unter 1500 Bewerbern für die zweite Gotthardvermessung ausgewählt.

Mit dem Gotthard und der Schweiz war er auf verschiedene Arten für sein ganzes Leben lang verbunden. Die unschönste Verbindung:  Noch vor dem Beginn der eigentlichen, hier geschilderten, Vermessungsarbeiten, stürzte er bei einer Geländeerkundung schwer. Die Folge war ein zeitlebens gelähmtes Bein und die Verschiebung der Vermessung um ein ganzes Jahr.

Interessant zu lesen, insbesondere die Gotthard-Episode, ist seine Biografie  [906]

Oder hier online in [514]

 

Netzanlage und Winkelmessung
Skizze aus [501]
Im Gegensatz zu Gelpke war Koppe nicht darauf angewiesen, möglichst gleichseitige Dreiecke zu verwenden. Koppe achtete mehr darauf, lange Visuren zu finden, die die beiden Täler möglichst direkt verbanden.

Die Winkelmessungen erfolgten im Gegensatz zu Koppe nicht durch Repetitionsmessung sondern nach Messung in verschiedenen Sätzen.

 

Sie können das Netz auch in GoogleEarth betrachten mit unserm Overlay [406]


Das Triangulationsnetz von Göschenen aus in Richtung Airolo gesehen
Basisanschluss
Quelle: [501]
Aus Zeitgründen benutzte Koppe die von Gelpke gemessene Basis und berechnete damit die Entfernung seiner Signale Loitascia und Boggia, indem er zusätzliche Winkelmessungen zu Signalen in deren Nähe machte.

Da die Basis von Koppe, wie sich später herausstellte, jedoch fehlerhaft war, beeinflusste die Ungenauigkeit auch Koppes Berechnungen, was jedoch keine Folge für die Bestimmung der Achsrichtung hatte, da das Tunnel gerade angelegt wurde (am südlichen Ausgang bei Airolo befand sich zunächst ein gerader Richtstollen anstelle der heutigen Kurve)

 

Netzausgleichung unter Berücksichtigung der sphärischen Gestalt der Erde
Quelle: [501]
Bei der Auswertung zeigen sich die Unterschiede zu Gelpkes Vorgehen am deutlichsten: Koppe glich das Netz vollständig nach der Methode der kleinsten Fehlerquadrate aus. Diese Methode war damals noch recht neu und so musste auch Koppe zunächst Urlaub nehmen, um sich das Verfahren an einer Universität anzueignen. F.R. Helmert, ein bereits damals bekannter Geodät, beurteilte die Ausgleichung von Koppe und stellte theoretische Mängel fest, die jedoch für die Praxis keine Auswirkung hatten  [503]

Neben einer statistisch begründeten Ausgleichung der Fehler liefert das Verfahren auch Aussagen zur Genauigkeit der Messungen: Koppes mittlerer Richtungsfehler betrug +/- 0,9 Sekunden.

Die sphärische Gestalt der Erde berücksichtigte Koppe, indem er nach dem Satz von Legendre jeden Winkel in den einzelnen Dreiecken um ein Drittel des sphärischen Exzesses reduzierte. Letzterer wiederum berechnet sich aus der Fläche des Dreiecks, wofür Koppe also eine Basis als Massstab benötigte.

 

Bestimmung der Achsrichtungen
Quelle: [501]
Letztendlich bestimmte Koppe die Achsrichtungen von den Observatorien Göschenen und Airolo in Bezug auf die dort jeweils sichtbaren Anschlusssignale.

Die Genauigkeit der Winkelangaben errechnete er zu
+/- 1,1 Sekunden (Göschenen) und
+/- 1,3 Sekunden (Airolo).

Diese Unsicherheit führt im schwerwiegendsten Fall zu einer Differenz von ca. 4 cm in der Tunnelmitte und ist daher mehr als akzeptabel.

 

Einrichtung der Tunnelmarken
Quelle: [502]
Um bei den Absteckarbeiten im Tunnel nicht auf die Sichtbarkeit der Anschlusssignale angewiesen zu sein und natürlich auch zur Arbeitserleichterung, wurde die Achsrichtung mit Tunnelmarken in der Vertikalebene des Tunnels markiert. Diese waren ungefähr 1000 m von den Observatorien entfernt und konnten tags und nachts anvisiert werden.

Bereits Gelpke legte diese Marken an. Koppe ermittelte nur geringe Differenzen zu seiner Vermessung (2,6 Sekunden in Airolo, 2,9 Sekunden in Göschenen) und korrigierte diese entsprechend.

 

Astronomische Überprüfung
Quelle: [502]
Zur Kontrolle wurde in einem aufwendigen Verfahren eine astronomische Bestimmung der Position der Achspunkte vorgenommen. Im Rahmen der Messgenauigkeit stimmen die Ergebnisse gut überein, sodass Koppe darauf schloss, dass im Bereich des Gotthards keine für die Tunnelvermessung relevanten Lotstörungen vorliegen.

 

Trigonometrische Höhenbestimmung
Quelle: [504]
Ähnlich wie Gelpke bestimmte auch Koppe trigonometrische die Signalhöhen und damit die Höhendifferenz zwischen den Achspunkten Göschenen und Airolo. Es ergab sich eine zufriedenstellende Abweichung von nur 8 cm zum Präzisions-Nivellement.

Als mittleren Refraktionskoeffizienten berechnete er
k = 0,1220

 

Oberirdische Absteckung
Quelle: [502]

 

Die oberirdische Absteckung bereitete auch Koppe größte Schwierigkeiten, er schaffte jedoch eine Messung auf dem Grad des Kastelhorns durchzuführen, die eine Abweichung der Tunnelachsen von 10 - 15 cm ergab.
Originalliteratur zum Download Netz, Messungen, Ausgleichung [501]
Tunnelmarken, astronomische Überprüfung [502]
Höhenbestimmung [504]
Nachtrag wegen Rechenfehlern [505]
Diskussion der Beobachtungsfehler [503] von F.R. Helmert
Tunnelabsteckung und Durchschlag [506] von Otto Gelpke

Tunnelabsteckung, Durchschlag und Vergleich der Triangulationen

 

Tunnelabsteckung Die Verlängerung der gefundenen Achsrichtung in den Tunnel hinein geschah mittels eines Alignement-Verfahrens, wie es üblicherweise für Tunnel verwendet wurde.

Gelpke und Koppe wurden, um Kosten zu sparen, nur teilweise für diese Arbeiten hinzugezogen. Die letzte Hauptabsteckung vor dem Durchschlag wurde dann aber wieder von beiden durchgeführt.

 

Eine Einführung dazu siehe hier.


Eine ausführliche Beschreibung zur Gotthard-Absteckung findet sich in [506]

 

Durchschlagsfehler Die am 28.02.1880 in Göschenen eintreffende Meldung "Messieurs, la sonde a passé!" und die am nächsten Tag um 11:10 Uhr erfolgte Sprengung der letzten Wand wurde weltweit als Jahrhundertereignis gefeiert.

Auch Gelpke und Koppe wurden für den geringen Durchschlagsfehler ("quasi Null") als Helden gefeiert. Jedoch war deren Freude ziemlich getrübt: Der Durchschlagsfehler war für Sie wesentlich größer als erwartet (entspräche ca. 4,4 Sekunden Fehler bei den beiden Achspunkten)

Gelpke vermutete daher eher einen Fehler bei der Übertragung der Achsrichtungen in den Tunnel hinein.

 

Eine unmittelbar nach dem Durchschlag erfolgte Messung durch Gelpke und Koppe erbrachte eine Seitenabweichung von 49 cm. Diese war jedoch aufgrund der Situation (Dampf, Rauch, Verkehr) sehr ungenau.

 Später wurde in Abwesenheit beider die Abweichung erneut gemessen und es ergab sich der "offizielle" Durchschlagfehler von 33 cm (Richtung), 5 cm (Höhe) und 7,10 m (Länge).

Obwohl diese kleine Abweichung für die damalige Zeit hervorragend war und durchaus im Rahmen vergleichbarer Projekte, bezweifelten Gelpke und Koppe diese Messungen. Insbesondere hätte festgestellt werden müssen, ob es sich um eine parallele Achsverschiebung oder einen Winkelfehler handelt, um eine genauere Fehleranalyse vorzunehmen.

 

Vergleich der Triangulationen Vorweggenommen: Gelpkes und Koppes Resultate waren weitestgehend identisch. Hätte man die Achsrichtungen von Gelpke verwendet, wäre der Durchschlagfehler der gleiche geblieben, nur das Zusammentreffen der Stollen hätte ca. 10 cm weiter östlich stattgefunden.

 

In diesem Punkt sind die Angaben von Gelpke und Koppe recht unterschiedlich. Auch in der Sekundärliteratur (z.B.[513], [514]) gibt es widersprüchliche Angaben, die nicht so recht nachzuvollziehen sind. Die Schilderungen von Koppe scheinen am plausibelsten. Alle Quellen nennen  jedoch Abweichungen unter 3 Sekunden und damit eigentlich an der Grenze des damals Möglichen. 
In den Vorgehensweisen zeigt sich jedoch ein klarer Paradigmenwechsel:

Gelpkes Verfahren war sehr pragmatisch geprägt und zeugt von der hervorragenden Beherrschung eines soliden Handwerks. Es drängt sich aber etwas der Verdacht auf, dass auch Glück und Zufall die Hände im Spiel hatten, dass er trotz seines einfachen Vorgehens zu dem fast identischen Resultat kam.

Koppes Verfahren hingegen berücksichtigt neueste wissenschaftliche und mathematische Erkenntnisse und versucht das Maximum an Genauigkeit und Aussagefähigkeit darüber zu erreichen. Letztendlich ist damit der Weg frei gemacht worden für noch anspruchsvollere Tunnelprojekte, wie beispielsweise am Simplon.

Ein Vergleich dahingehend, welche Triangulation für dem Gotthardtunnel jetzt "besser" gewesen wäre, ist müsig. Vielleicht war es gerade die Zusammenarbeit zwischen dem Praktiker Gelpke und dem Theoretiker Koppe, dass es zu diesem weltweit bestaunten Erfolg kam.

 

Gelpke und Koppe waren wohl auch recht gegensätzliche Charaktere, die es nicht immer leicht hatten, miteinander umzugehen. Dieser Eindruck wird zumindest in [506] durch Gelpke erzeugt. Zwischen den Zeilen wird neben fachlichen Sticheleien gegen seinen Kollegen fast etwas Neid und Mißgunst sichtbar.