Lötschbergtunnel

<< zurück - Startseite - rauf - weiter >>

 

Wie eine Katastrophe zum
Triumph der Vermessungstechnik wurde


Panorama des Gasterntals (Klick zum Vergrößern)

Warum sehen Sie hier kein Tunnelbild?
Es hängt damit zusammen, dass der Bau des Lötschbergtunnels zunächst einmal nach dem Frejus-, Gotthard- und Simplontunnel keine außergewöhnliche Sache mehr gewesen wäre. Er wäre zwar immerhin 13.744 m lang geworden, aber es waren bei weitem nicht solche Schwierigkeiten wie beispielsweise beim Simplon (Temperaturen, Gebirgsdruck, Wassereinbrüche, etc.) zu erwarten. Allenfalls die aufwändige Konstruktion der Zufahrtsrampen auf der Südseite und die ständige Lawinengefahr waren zunächst von größerer Bedeutung:

 


Quelle: [700]

Quelle: [700]

Quelle: [700]
Mitten in den Felswänden mussten Löcher für Sprengladungen gebohrt werden... ...bevor eine Betriebsbahn gebaut werden konnte. Ständig waren große Schneemassen zu beseitigen, um den Zugang zum Stollen zu erhalten.
 

Tatsächlich waren die Arbeiten nicht ungefährlich: Ein Lawinenabgang am 29. Februar 1908 zerstörte am Südportal in Goppenstein ein Hotel der Bauunternehmung und tötete dabei zwölf Menschen. Die Bauarbeiten ruhten daraufhin für einen Monat. Doch dies sollte jedoch nur ein Vorgeschmack auf eine weitaus größere Katastrophe sein, die beinahe den Weiterbau des Tunnels unmöglich gemacht hätte.

Am 23. Juli 1908 gegen 3 Uhr früh wurden die Ingenieure in Kandersteg informiert, dass etwas im Tunnel passiert sei, man jedoch nicht mehr wisse. Als diese an das Tunnelportal gelangten, war es totenstill. es waren keine Arbeiter zu sehen. Die Überprüfung der Stempelkarten zeigte jedoch, dass noch alle Arbeiter im Tunnel sein mussten. Als die Ingenieure den Stollen abschritten, lag zunächst einiges Geröll herum und im weiteren Verlauf war der Stollen mit einem Schutthaufen versperrt, aus dem etwas Wasser floss. Plötzlich war klar, dass das über der Tunnelachse liegende Gasterntal in den Stollen mit der letzten Sprengung einbrach und diesen auf einer Länge von ca. 1.500 m vollständig verschüttete. Die ganze Schicht, bestehend aus 25 Leuten war im Stollen begraben und es konnte nur ein einziger Arbeiter tot geborgen werden, die restlichen liegen bis heute im Geröll begraben.

 


Quelle: [700]

Quelle: [700]
Grabstätte und Denkmal für die 25 Opfer des Stolleneinbruchs in Kandersteg Der Stollen bohrte direkt in das Schotterbett des darüberliegenden Gasterntals. Die geologischen Gutachten, die massiven Fels prognostizierten, waren fehlerhaft! An der Oberfläche des 170 m höher gelegenen Tals bildete sich eine Geländesenkung von 3 m Tiefe, in der der Fluss Kander einen See bildete
 

Die Bauarbeiten wurden für einige Monate eingestellt. Wie sollte es jetzt weitergehen? Ein Großteil des nördlichen Richtstollens war verschüttet und musste aufgegeben werden. Musste das gesamte Projekt aufgegeben werden? Was gibt es für Lösungen? Zunächst einmal wurde eine Bestandsaufnahme durchgeführt:

 


Quelle: [700]

Quelle: [700]

Quelle: [700]
Vermessung der Geländesenkung
im Gasterntal an der Einbruchstelle
Entlang der Tunnelachse wurden im Tal Sondierbohrungen vorgenommen, um festzustellen, welche Gesteinsschichten der Stollen zu durchqueren hätte.

 

Das Material für die Bohrtürme musste auf einem abenteuerlichen Weg von Kandersteg ins Gasterntal gebracht werden.

Quelle: [700]
Die Ergebnisse der Sondierbohrungen waren ernüchternd: Es wurde kein massiver Fels entlang der Tunnelachse gefunden.

Damit war ein bergmännischer Vortrieb wie bisher nicht mehr möglich. Solle das das Aus für den Lötschbergtunnel sein?

Der Weg ins Tal ist auch heute noch abenteuerlich genug. Es wurden zwei Sondierbohrungen durchgeführt. Eine direkt an der Einbruchstelle, die zweite ungefähr in der Mitte des Tals.
 

Es kamen prinzipiell zwei Lösungen in Betracht: Die Befestigung des lockeren Schotters mittels Vereisung bzw. Beton oder die Umfahrung der Talsohle in der Art, dass die Tunnelachse innerhalb festen Gesteins bleiben würde:

 


Quelle: [700]

Quelle: [700]

Quelle: [700]
Durch Bohrungen würde entlang der Tunnelachse ein Kühlmittel in den Schotter gepumpt werden. Die Vereisung würde den Boden stabilisieren Die Berechnung zeigt, dass zur Durchquerung des Tals mehr als eine Million Kubikmeter Schotter gefroren werden müssten. Die zweite Alternative wäre die Umfahrung der Gefahrenstelle in einem Kurvenzug. Hier sind verschiedene Möglichkeiten gezeigt.
 

Da die Wirkung einer Befestigung aufgrund des ständig eindringenden Wassers zu unsicher war, entschied man sich für eine Umfahrung der Gefahrenstelle. Hierzu wurden der verschüttete Teilstollen endgültig aufgegeben und drei Kurven eingeplant. Dies stellte jedoch eine vollkommene Herausforderung für die Vermessungstechnik der damaligen Zeit dar, weil alle langen Tunnel bislang geradlinig angelegt worden sind, um gerade in den Richtstollen hineinvisieren zu können.

 


Tunnelachsen (rot: ursprünglich geplant, gelb: Umfahrung der Einbruchstelle)
 

Diese Aufgabe wurde aber von Prof. Baeschlin (wie in [508] beschrieben) hervorragend gelöst.
Durch die Umfahrung verlängerte sich der Tunnel von ursprünglich 13.744 m auf 14.605 m. Trotz aller Widrigkeiten wurde der Tunnel rechtzeitig zum vereinbarten Termin fertiggestellt.

 

Suche der Einbruchstelle im Jahr 2006

 

Nachdem eine vorangegangene Expedition ins Gasterntal auf der Suche nach der Einbruchstelle erfolglos verlief, sollte sie diesmal erfolgreicher verlaufen. Dazu wurden zunächst in den topographischen Karten 1:25.000 die Koordinaten der Tunnelportale bestimmt und dann mittels der historischen Baudaten die Koordinaten der Einbruchstelle berechnet. Mittels GPS wurde dann die Stelle aufgesucht.

 

Koordinaten Portal Nord (Kandersteg) 617536 / 147460

(schweizerisches Koordinatensystem, CH1903)

Koordinaten Portal Süd (Goppenstein) 624269 / 135430
ergibt Tunnellänge 13.786 m

Die Differenz von (+)42 m lies sich zunächst nicht erklären. Eine Bauzeichnung in [702] zeigt jedoch, dass die Portale um 15 m (Kandersteg) und 55 m (Goppenstein) gegenüber [508] verlängert wurden. Die Differenz würde somit nur noch (-)28 m betragen. Die Bestimmung der Portale auf der Karte ist jedoch ungenau, ebenso wie die GPS-Positionbestimmung durch die Talabschattung.

zum Vergleich Tunnellänge nach [508] 13.744 m
Azimut der Achse 148°
Entfernung Einbruch vom Nordportal 2.690 m
Berechnete Koordinaten 618850 / 145113

 

Die Expedition an die berechnete Koordinate zeigte, dass diese, wie notwendig, exakt an der Kander liegt. Auch Ansichtsvergleiche mit [702] zeigen eine gute Übereinstimmung von Merkmalen. Es zeigt sich jedoch auch, dass der Flussverlauf auf verschiedenen Karten unterschiedlich dargestellt ist und der Fluss somit recht "lebendig" ist. Fast 100 Jahre nach dem Einbruch kann man auch nicht mehr davon ausgehen, dass scharfe Bruchkanten o.ä. zu sehen sind.

 

Panorama der Einbruchstelle
Richtung Osten
Die Einbruchstelle
Richtung Südwest
"Versunkene" Steine als Indiz